- Die Antarktis ist geprägt von komplexen Wechselbeziehungen zwischen Meer, Meereis und Eisschilden, die in einem fragilen Gleichgewicht stehen. Die Region erlebt einen rapiden Verlust von Meereis, der mit dramatischen Klimawandlungen und potenziellen Kipppunkten einhergeht, die den globalen Meeresspiegel ansteigen lassen könnten. Der Verlust von Meereis führt zu einem selbstverstärkenden Erwärmungseffekt, der nicht nur das Meereis, sondern auch die stabilisierenden Eisschelfe bedroht. Die antarktische Umwälzzirkulation verändert sich entscheidend, was den Kontakt von warmem Wasser mit den Eisschelfen verstärkt und die regionale Biodiversität gefährdet. Drastische Reduktion von Treibhausgas-Emissionen ist erforderlich, um die schlimmsten Auswirkungen auf das globale Klima zu verhindern.
Betrachtet man die Erde aus der unendlichen Weite des Alls, so erscheint die Antarktis zunächst als ein simpler, weißer Kontinent, umrahmt vom dunklen Schleier des Südlichen Ozeans. Doch ein näherer Blick offenbart ein vielschichtiges Zusammenspiel von Meer, Meereis und gewaltigen Eisschilden und -schelfen, das eine durchaus komplexe Wechselbeziehung bildet. Diese fragile Balance befindet sich allerdings in einem Zustand akuter Gefährdung. Eine aktuelle Studie in der Fachzeitschrift Nature beschreibt, wie mehrere „plötzliche Veränderungen“ wie der über die letzten zehn Jahre hinweg rapide Verlust von Meereis diese Region zunehmend destabilisieren. Diese Entwicklungen wirken sich gegenseitig verstärkend aus und drohen, die Antarktis unrettbar über einen kritischen Kipppunkt hinauszuführen, was weltweite Küstenstädte durch eine dramatische Erhöhung des Meeresspiegels bedrohen würde.
Ein empfindliches Gleichgewicht
Wissenschaftler definieren abrupte Veränderungen als Prozesse, die sich schneller vollziehen, als erwartet. In der Antarktis können diese auf Zeitskalen von Tagen bis Jahrhunderten auftreten. Wenn es Menschen nicht gelingt, den unaufhörlich wachsenden Ausstoß klimaschädlicher Gase einzudämmen, könnten diese abrupten Wandlungsprozesse selbstverstärkend und letztlich unumkehrbar werden. Der Verlust des allwinterlichen Meereises, das einst Gebiete von bis zu 20 Millionen Quadratkilometern bedeckte, ist ein zentraler Auslöser dieser Kaskade bedrohlicher Veränderungen. Seit 2014 hat der Rückgang des Meereises mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit stattgefunden und bewegt sich nun 75 Meilen näher zur Küste als zuvor. In den antarktischen Wintern, wenn das Meereis seine größte Ausdehnung erreicht, ist es mehr als viermal schneller zurückgegangen als das Arktiseis in denselben letzten zehn Jahren.
Vernetzte Systeme in Gefahr
Die drastische Abnahme von Meereis setzt einen klimapolitischen Teufelskreis in Gang. Der Verlust an reflektierendem Eis führt dazu, dass dunklere Meeresflächen mehr Sonnenenergie aufnehmen, was zu einer verstärkten Erwärmung führt. Diese Erwärmung beschleunigt wiederum den Eisverlust, ein Kreislauf, der sich selbst nährt. Besonders beunruhigend dabei ist, dass diese Dynamik nicht nur auf das Meereis beschränkt bleibt, sondern auch andere Systeme gefährdet. So spielt das Meereis eine entscheidende Rolle im Schutz der antarktischen Eisschelfe, die wiederum die darunterliegenden Eisschilde stabilisieren. Ohne diese schützende Barriere beginnt warmes Wasser an der Unterseite der Schelfe zu nagen, was schließlich zum Kollaps riesiger Eismassen führen könnte. Ein Zusammenbruch des Westantarktischen Eisschildes allein könnte den Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigen lassen.
Wuchernde Folgen
Eine der zentralen oceanischen Strömungen, die antarktische Umwälzzirkulation, erlebt ebenfalls entscheidende Veränderungen. Der Rückgang des Meereises beeinträchtigt die Bildung von kaltem, salzhaltigem Wasser, was das Sinken und die Zirkulation stark verlangsamt. Diese veränderte Dynamik bringt noch mehr warmes Wasser in Kontakt mit den antarktischen Eisschelfen, was den Eisschwund zusätzlich beschleunigt. Die sich abzeichnenden Entwicklungen im Südpolarmeer haben weitreichende Folgen für die Lebensräume der Region. Empfindliche Fotosynthese betreibende Mikroorganismen wie Phytoplankton, welche die Basis des Nahrungskettengeflechts bilden, sind bedroht. Aber auch der Fortbestand der Kaiser- und Adeliepinguine steht auf dem Spiel, da sie auf stabiles Meereis zur Brut angewiesen sind.
Eine unaufhaltsame Erwärmung heizt der Antarktis seit Jahren ein. Doch durch akute Extremereignisse, wie der beispiellosen Hitzewelle im März 2022, werden diese chronischen Prozesse verschärft. Wissenschaftler sind zwar dabei, mehr Einblicke in das komplexe Zusammenspiel der antarktischen Systeme zu gewinnen, aber die Notwendigkeit bleibt dieselbe: drastische Reduktion von Treibhausgas-Emissionen ist unumgänglich, um das Schlimmste zu verhindern. Jede vermiedene Zehntel-Grad-Erwärmung trägt dazu bei, die Chancen auf Vermeidung dieser katastrophalen Ereignisse zu erhöhen.


