- Georg Friedrich Haas hat das Werk „11.000 Saiten“ für 50 Klaviere und zwei Dutzend andere Instrumente geschaffen. Die Komposition verwendet Mikrotonalität, um traditionelle Klangstrukturen zu überwältigen. Intendant Ingo Metzmacher beschreibt die klangliche Intensität des Werks als Naturgewalt. Das Festival in Herrenhausen bietet vielfältige musikalische Erlebnisse, darunter Tanzperformances und Orchesterkonzerte. Die Kunstfestspiele enden am 8. Juni mit einem Konzert unter der Leitung von Brigitta Muntendorf und Ingo Metzmacher.
Ein Klavier, ein Klavier! Und noch eins, dazu viele weitere. Der renommierte Komponist Georg Friedrich Haas hat mit „11.000 Saiten“ eine musikalische Schöpfung für sage und schreibe 50 Klaviere und zwei Dutzend andere Instrumente realisiert. Eine bizarr anmutende Besetzung, die nun in der Turnhalle des Deutschen Hockey Clubs in Erscheinung trat, um die Kunstfestspiele Herrenhausen feierlich zu eröffnen. Die Hochschule für Musik hat mit ihren erstklassig ausgebildeten Pianistinnen und Pianisten dafür gesorgt, dass alle Instrumente zum Klingen gebracht werden. Doch die wahren Helden bleiben im Hintergrund: Drei chinesische Klavierstimmer, entsandt vom Hersteller Hailun, die die klangliche Vielfalt durch unterschiedliche Stimmung der Instrumente perfektionierten.
Eine Klangreise in Halbtonschritten
Begonnen wird mit einem nur minimal tieferen Klavierklang, gefolgt von weiteren, jeweils um einen Hauch differierender Instrumentalstimmen. Schlussendlich ist der letzte Klavierklang einen vollständigen Halbton unter dem des ersten Klaviers. Im klassischen Tonsystem ist der Halbton der minimalste klangliche Abstand zwischen zwei Noten. Doch Haas überlässt sich nicht konventionellen Klangvorgaben. In der Mikrotonalität wird die traditionelle zwölfteilige Einteilung der Oktave überschritten, indem noch feinere Tonabstufungen hinzugefügt werden. Diese Technik ist nicht neu in der Musikgeschichte, doch Haas verwendet sie primär zur klanglichen Überwältigung statt zur Erzeugung subtiler Schwebungen.
Musik als Naturgewalt
Mit Hilfe der 50 Klaviere und den Mitgliedern des Klangforums Wien, versehen mit traditionellen Orchesterinstrumenten, entstehen Lautstärken, die weit über die eines normalen Konzerts hinausgehen. Das Publikum wird dabei regelrecht vom Tastensturm erfasst, vergleichbar mit einer Naturgewalt. In einem einführenden Vergleich beschreibt Intendant Ingo Metzmacher dieses klangliche Phänomen als das brausende Rauschen eines Wasserfalls. In den leiseren Passagen erinnert die Komposition an das sirrende Summen eines überdimensionierten Bienenschwarms, während die lauteren Stellen eine Gischt gigantischer Wasserströme über die Zuhörerschaft ergießen.
In Anbetracht solcher klanglichen Intensität wird jegliches Suchen nach einer festen Struktur des Werkes zur Nebensache. Traditionelle Musikkonzepte wie Melodie, Harmonie und Rhythmus scheinen hier ihre Geltung zu verlieren. Stattdessen entfaltet sich eine Klangwolke, dich richterfüllend den Raum durchwirkt und sich manchmal wie heftige Regenfälle entlädt. Ab und an fühlt es sich an, als ob man im tiefen Ozean unter Sirenenklängen abtaucht.
Vielfalt der Kunstfestspiele
Das bis zum 8. Juni andauernde Festival offeriert weitere Begegnungen mit den eindrucksvollen Klangwelten von Haas. Beim familienfreundlichen „Kunstfestspieltag“, mit kürzeren Aufführungen zu attraktiven Preisen, wird unter anderem die „Parkmusik für Herrenhausen“ von Haas gespielt, begleitet von vier Blasorchestern. Am Wochenende des 24. und 25. Mai, schon um 18:30 Uhr, wird der Große Garten zur Bühne eines ungewöhnlichen Tanzereignisses, bei dem die Choreografin Doris Uhlich nackte Performer durch die Buchsbaumhecken dirigiert und so eine völlig schamlose Hymne auf den natürlichen Körper abseits konventioneller Ideale feiert. Am 7. Juni stellt die zukünftige Kunstfestspielintendantin Brigitta Muntendorf ihr Werk „Orbit – A War Series“ vor und schließt das Festival am 8. Juni mit einem Konzert unter der Leitung von Metzmacher ab. Dabei tritt ein großes Orchester mit Chören aus Hannover sowie Musik von Charles Ives im Kuppelsaal auf.