- Der alte Menschheitstraum von maschineller Entlastung durch KI scheint vielversprechender denn je, stößt jedoch auf Skepsis über die tatsächliche Arbeitszeitverkürzung. Die informelle Nutzung von KI durch Arbeitskräfte signalisiert eine Missstimmung zwischen Erwartungen und formaler technologischer Integration im Arbeitsumfeld. Performative Tätigkeiten dominieren die Arbeitszeit, wobei intensivere KI-Nutzung paradoxerweise anspruchsvollere, aber intensivere Tätigkeiten mit sich bringt. Die Effizienzfalle droht, da schnellere Prozesse nicht zwingend mehr Freizeit, sondern erhöhte Arbeitsbelastung zur Folge haben können. Eine aktive Gestaltung der Zukunft der Arbeit erfordert klare Zielsetzungen und Mitbestimmung, um KI wirklich im Sinne der Arbeitnehmer zu nutzen.
Der alte Menschheitstraum, Maschinen und Roboter mögen uns von allen lästigen Pflichten befreien, scheint wieder einmal greifbar nahe. Mit der zunehmenden Etablierung der Künstlichen Intelligenz (KI) in unserer Arbeitswelt erleben wir eine erneute Aufbruchstimmung. Fraglich bleibt jedoch, ob wir tatsächlich auf eine Arbeitswoche zusteuern, die nur noch 15 Stunden umfasst – so, wie es der Visionär John Maynard Keynes vor fast einem Jahrhundert erhoffte. Keynes prognostizierte, dass die technische Revolution binnen 100 Jahren die Wochenarbeitszeit drastisch verkürzen würde. Doch entgegen dieser Prognose scheint Arbeit in der heutigen Zeit eher komplexer und vor allem intensiver zu sein. Digitale Hilfsmittel beschleunigen unsere täglichen Abläufe, bieten jedoch selten die erhofften Freiräume. Steht dennoch eine Ära des Überflusses an Zeit bevor, angetrieben durch KI?
Zunehmende Nutzung von KI in der Arbeitswelt
Aktuell verwenden bereits 62 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland Künstliche Intelligenz. Meist erfolgt dies jedoch informell. Arbeitnehmer greifen eigenständig auf vielfältige Anwendungen zurück, von Chatbots bis hin zu Bildbearbeitungstools. Dies geschieht häufig ohne eine formelle Implementierung durch die Unternehmen, wie aus einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hervorgeht. Dies deutet auf eine Kluft zwischen den Erwartungen der Beschäftigten und der tatsächlichen Einführung neuer Technologien hin. Arbeitsforscher Hans Rusinek von der Universität St. Gallen beobachtet diese “Schatten-KI” mit wachsendem Interesse. Er sieht darin ein Indiz für die mangelnde psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz, wenn Technologien eher heimlich als offiziell eingesetzt werden. Die Herausforderung besteht darin, dass Mitarbeiter befürchten, durch den offenen Einsatz von KI noch mehr Arbeit aufgebürdet zu bekommen.
Performative Arbeit und die Illusion der Produktivität
Derzeit zeigt sich, dass ein beachtlicher Teil der Arbeitszeit in sogenannte performative Tätigkeiten fließt. Diese Aktivitäten dienen nicht primär einem konkreten Arbeitsergebnis, sondern vielmehr dem Bestreben, einen produktiven Eindruck zu erwecken. Dazu zählen etwa ständige Erreichbarkeit und die Teilnahme an Besprechungen oder das Pflegen von Projektmanagementtools, die nicht immer zwingend zum Aufgabenfortschritt beitragen. Trotz der Vermutung, dass mithilfe von KI die reale Arbeitszeit verschleiert wird, zeigt die Untersuchung der Bundesanstalt einen anderen Trend. Tatsächlich berichten intensivierte Nutzer von KI über anspruchsvollere Tätigkeiten, insbesondere in Bereichen wie Schreiben und Programmierung. Hierbei einher geht ein Zuwachs an Autonomie, jedoch stets begleitet von einer erhöhten Arbeitsintensität.
Herausforderungen der Effizienzfalle
Hans Rusinek warnt vor der sogenannten Effizienzfalle: Wenn die Erstellung von E-Mails beschleunigt wird, besteht die Tendenz, einfach mehr davon zu verfassen. Soziale Muster sind beständig, und jede neue Möglichkeit zur Effizienzsteigerung führt nicht zwangsläufig zu mehr Freizeit, sondern oft zu einer Verdichtung der Arbeitsbelastung. Gleichermaßen skeptisch äußert sich die Autorin Sara Weber, dass digitale Technologien längst nicht zu einer entspannteren Arbeitsweise führen. Vielmehr zeigt sich, dass die Digitalisierung häufig höhere Arbeitslasten und verstärkte Kontrolle mit sich bringt. Die Einführung von KI könnte diese Tendenz weiter verschärfen.
Wer die Zukunft der Arbeit gestalten will, steht vor der Aufgabe, die Richtung, in die unser Umgang mit KI geht, aktiv zu bestimmen. Wenn keine klaren Ziele definiert sind, sinkt die Wahrscheinlichkeit, in einem positiven Szenario zu landen. Historisch betrachtet haben sich die Arbeitsbedingungen dann verbessert, wenn Mitarbeiter durch Gewerkschaften und Tarifverträge Einfluss nehmen konnten. Sara Weber betont, dass KI ein Werkzeug unter vielen ist, über dessen Einsatz wir selbst bestimmen. Vor allem in der Hoffnung, dass KI das Arbeitsumfeld gesünder gestaltet und es Menschen ermöglicht, sich auf Kreativität, Empathie und Kooperation zu konzentrieren.