- Ein erheblicher Teil der Bevölkerung lebt in urbanen Räumen, die nicht primär auf das menschliche Wohlbefinden ausgerichtet sind. Visionäre Denker wie Jane Jacobs und Jan Gehl haben bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die unmenschliche Gestaltung von Städten hingewiesen. Moderne Hirnforschung und Verhaltensstudien offenbaren zunehmend die psychologischen Auswirkungen von Architektur auf die Gesundheit. Projekte und Studien weltweit, etwa in Amsterdam und Cambridge, untersuchen den Zusammenhang zwischen Gebäudeoberflächen und Gesundheitsaspekten. Architekturbüros beginnen, neuroarchitektonische Erkenntnisse in ihre Entwürfe zu integrieren, was zu lebendigeren und gesünderen urbanen Umgebungen führen könnte.
Ein erheblicher Teil der heutigen Bevölkerung lebt in Städten, die einst rund um Handel, Industrie und Autos entstanden sind. Denken Sie an die Docks von Liverpool, die Fabriken von Osaka oder den Autowahn von New Yorks Robert Moses. Auch die weitläufige Entwicklung des modernen Riad zählt dazu. All diese Orte wurden nicht primär mit dem Wohlbefinden der Menschen im Sinn erschaffen. Inzwischen hat der Mensch seine Existenz zunehmend in Städte verlagert, und parallel dazu sind Erkrankungen wie Depressionen, Krebs und Diabetes alarmierend gestiegen. Diese Diskrepanz zwischen unserem Leben und den urbanen Räumen überrascht nicht. nn[Urbane Fehlentwicklungen]
Bereits ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen visionäre Denker wie die amerikanische Autorin und Aktivistin Jane Jacobs sowie der dänische Architekt Jan Gehl, auf die unmenschliche Gestaltung unserer Städte hinzuweisen. Sie kritisierten langweilige Bauwerke, öde Plätze und brutale Schnellstraßen. Ihre Arbeiten wurden von der Bauindustrie zwar gelesen, jedoch oft ignoriert. Ihre Ansichten widersprachen dem gängigen architektonischen Denken mit seiner nüchternen und meist unfreundlichen ästhetischen Ausrichtung. Obwohl Jacobs und Gehl sehr reale Probleme aufzeigten, fehlten ihnen lange überzeugende Beweise, um ihre Argumente zu untermauern.n
Neue Forschungsergebnisse
Die gentechnisch avancierten Möglichkeiten moderner Hirnforschung und Verhaltensstudien, wie tragbare Messgeräte, die unsere Reaktionen auf Umgebungen aufzeichnen, erschweren es nun der Bauindustrie, die Rückmeldungen der Menschen zu ignorieren. Einst auf Labore beschränkt, haben sich diese neurowissenschaftlichen Methoden in den urbanen Raum verlagert. So hat das Urban Realities Laboratory der Universität von Waterloo in Kanada bahnbrechende Studien durchgeführt. Die EU fördert Projekte in Lissabon, London, Kopenhagen und Michigan. Auch in Amsterdam, New York und Washington, D.C., werden entsprechende Tests durchgeführt.
Das Humanize Campaign Projekt hat sich kürzlich mit Ellard zusammengeschlossen, um eine internationale Studie über die psychologischen Reaktionen auf unterschiedliche Gebäudeoberflächen zu leiten. Parallel dazu untersucht Cleo Valentine von der Universität Cambridge, ob bestimmte Fassaden zu Neuroinflammation führen können, was einen direkten Zusammenhang zwischen der Architektur und gesundheitlichen Auswirkungen herstellt. n
Fortschritte in der Architektur
Diese Erkenntnisse beeinflussen bereits die Arbeit vieler Architektenstudios, wie etwa des dänischen Büros NORD Architects. Diese nutzten die neuesten Forschungsergebnisse beim Entwurf eines Pflegeheims in Frankreich, das an das Layout einer mittelalterlichen Festungsstadt angelehnt ist. Ziel ist ein vertrautes Umfeld für Bewohner, deren Orientierungssinn im Alter nachlässt. Obwohl solche Projekte bislang isoliert erscheinen mögen, gibt es Anzeichen dafür, dass die Bau- und Designindustrie beginnt, sich zu ändern. Künstliche Intelligenz hat die Arbeitsweise in der Architektur bereits transformiert. Werden neuroarchitektonische Erkenntnisse in diese Modelle integriert, könnte die Entwicklung noch markanter ausfallen.
In Großbritannien koppeln fortschrittliche Stadtführer wie Rokhsana Fiaz, Bürgermeisterin von Newham in Ostlondon, Wirtschaftswachstum mit menschlichem Wohlbefinden. Jetzt, da Gesundheit auf raffiniertere Art und Weise gemessen wird, könnten viele diesem Beispiel folgen. Die direkte Verbindung zwischen Gebäudefassaden und öffentlicher Gesundheit wird erkannt und verbreitet. n
Zukünftige Veränderungen
Schon bald müssen Immobilienentwickler möglicherweise neurowissenschaftliche Erkenntnisse ebenso ernst nehmen wie statische Berechnungen, Energieeffizienz oder Akustik. Der Durchschnittsbürger wird diese Veränderung begrüßen. Nicht nur, weil sie unsere Gesundheit verbessert, sondern schlichtweg, weil sie unsere Umgebung lebendiger und ansprechender macht.