- Oktober ist ein Monat, in dem viele Menschen bewusst gruselige Erlebnisse suchen. Dunkler Tourismus umfasst Reisen zu Orten des Todes und Leidens, wie Tschernobyl und Auschwitz. Besucher suchen oft den Adrenalinkick ohne echte Gefahr. Museen, wie das in Ennenda, bieten historische Bildungsangebote ohne Missdeutungen der Hexerei. Touren in Los Angeles bieten Einblicke in historische Verbrechen und persönliche Geschichten.
Oktober ist jener Monat, in dem viele Menschen die Faszination des Schreckens entdecken, indem sie sich bewusst gruselige Erlebnisse suchen. Manche besuchen schaurige Filme oder erkunden Geisterhäuser. Doch es gibt Reisende, die das ganze Jahr über von der dunklen Tourismusbranche angezogen werden. Dieser Begriff beschreibt Reisen zu Orten, die mit dem Makabren oder mit historischen Schauplätzen des Todes und Leidens verbunden sind. Solche Orte sind unter anderem Tschernobyl, Auschwitz, Salem in Massachusetts und berüchtigte Tatorte, die tieferliegende, düstere Erzählungen der Geschichte bergen.
Dunkle Anziehungskraft des Unbehagens
Neben dem historischen Interesse suchen Besucher bei diesen Stätten eine Verbindung mit den Opfern der Geschichte, um die Ungerechtigkeiten besser zu verstehen. Ein weiterer Reiz liegt darin, das Kribbeln des Unbehagens am eigenen Leib zu erleben. James Giordano, ein Forscher der Neurobiologie am Georgetown University Medical Center, erklärt, dass das Erleben von Angst eine spezifische körperliche Reaktion auslöst. Der Nervenkitzel von bedrohlichen Orten erzeugt diesen Spannungsmoment, ohne dass eine wirkliche Gefahr besteht. Es ist vergleichbar mit dem Drang, bei einem schweren Verkehrsunfall genau hinzuschauen: Eine morbide Faszination, die uns an den Abgrund führt, ohne uns darüber zu stoßen.
Für viele Besucher steht neben der historischen Aufarbeitung auch die Sicherheit im Vordergrund. Sie wollen den Adrenalinstoß erleben, ohne echte Gefahren fürchten zu müssen. Giordano beschreibt diesen Aspekt des dunklen Tourismus als das Erleben „des Nervenkitzels ohne die Realität“.
Mehr als Hexerei
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für dunklen Tourismus ist ein Museum im kleinen schweizerischen Ort Ennenda. Es erinnert an Anna Göldi, die letzte in Europa hingerichtete Person wegen vermeintlicher Hexerei. Dieses Museum lehrt über historische Tatsachen, frei von Missdeutungen der Hexerei, die im 19. Jahrhundert entstanden. Die Kuratorin Nicole Billeter betont, dass viele gängige Vorstellungen über Hexerei historisch falsch sind. Sie möchte ein realistisches Bild dessen zeichnen, was tatsächlich geschah. Überraschenderweise zeigt sogar die junge Generation in der Schweiz ein Interesse an dieser Geschichte, die in den Schulen gelehrt wird. Jugendliche kommen in das Museum, um mehr über die Vergangenheit ihres Landes zu erfahren.
Die Attraktivität solcher Orte geht über das rein Okkulte hinaus. Es handelt sich um eine Auseinandersetzung mit sozialen Ungerechtigkeiten vergangener Zeiten. Billeter hebt hervor, dass noch immer weltweit Menschen ungerecht behandelt werden, und die Thematik der Todesstrafe ist nach wie vor aktuell. Solche Museen fördern das Nachdenken darüber, wie wir gesellschaftlich mit Ungerechtigkeit umgehen.
Touren voller Geschichten
In Los Angeles bieten Kim Cooper und Richard Schave mit ihrer Firma Touren zu den düsteren Geschichtsschauplätzen der Stadt an. Diese Touren sind eine Alternative zu sensationellen Geschichten und konzentrieren sich auf die harten Fakten krimineller Geschichte. Sie eröffnen Einblicke in die Verfehlungen von Los Angeles und decken den Morast der Korruption auf. Dabei ziehen sie vor allem einheimische Besucher an, die nicht nur interessiert lauschen, sondern auch ihre eigenen Geschichten und Erkenntnisse beisteuern.
In einem besonders bewegenden Fall nutzte ein älterer Herr eine dieser Touren, um ein Erlebnis aus seiner Kindheit zu verarbeiten. Er war mit 13 Jahren Zeitungsjunge und hat damals den schockierenden Mord an Elizabeth Short hautnah miterlebt. Die Tour bot ihm die Gelegenheit, seine Erlebnisse zu teilen und so einen Teil seiner Bürde zu verarbeiten.
Verständnis gewinnen
Die Entscheidung, sich dem dunklen Tourismus zu widmen, kann von der Suche nach Wissen, dem Bewältigen von Trauer oder einfach der Sehnsucht nach einem tieferen Geschichtsverständnis getrieben sein. Orte wie das Auschwitz-Birkenau-Staatliche Museum sind von tiefer emotionaler Bedeutung und fordern die Besucher auf, sich mit der dunkelsten Seite der Geschichte auseinanderzusetzen. Auch wenn der Besuch solcher Orte oft eine starke psychische Herausforderung ist, suchen viele Menschen genau diese Intensität, um die tiefen Hommagen und Pathe zu erleben, die sie bereichern und ihre Sichtweise erweitern können.
Angst und Neugierde liegen nahe beieinander; sie sind wesentliche Bestandteile unseres Lebens. Reisen zu historischen Schauplätzen des Todes erinnern uns an die Dualität von Dunkelheit und Licht im Leben. Vielleicht kann das, was wir an diesen Orten des endgültigen Verlusts lernen, uns helfen, die Schatten in unserem Alltag zu durchdringen, bevor unsere eigene Geschichte vergeht.