- Die Plattform Tiktok steht vor einem möglichen Wandel, da ein Gesetz den Senat der USA passiert hat
- Der Hintergrund des möglichen Tiktok-Wandels liegt darin, dass der chinesische Konzern Bytedance auf Daten von US-Nutzern zugreifen und für politische Einflussnahme nutzen könnte
- Ein Tiktok-Verbot oder -Verkauf in den USA ist noch unklar und könnte vor Gericht scheitern
- Die Auswirkungen auf Europa bei einem Tiktok-Verbot könnten dazu führen, dass US-Nutzer von der Plattform ausgeschlossen werden
- Für Tiktok wird es auch in Zukunft ungemütlich bleiben, da die EU-Kommission mit einem Verbot einer neuen Belohnungsfunktion gedroht hat
Was viele Teenager schon lange befürchtet hatten, könnte nun tatsächlich Realität werden: Die unter anderem für Tanz- und Unterhaltungsvideos bekannte Plattform Tiktok steht vor einem Wandel. In den USA hat am Mittwoch ein Gesetz den Senat passiert. Dieses sieht vor, dass sich die Plattform vom chinesischen Konzern Bytedance löst – andernfalls droht ein Verbot.
Hintergrund des möglichen Tiktok-Wandels
Hintergrund sind , Bytedance könne in großem Stil auf Daten von US-Nutzerinnen und -Nutzern zugreifen und diese wiederum für politische Einflussnahme nutzen. Hier sind sich sowohl Republikaner als auch Demokraten einig: Von beiden Lagern wird Bytedance als chinesisches Unternehmen gesehen, das unter dem Einfluss der Kommunistischen Partei steht und sich deren Willen beugen muss.
Konkret hat Bytedance nun ein Jahr Zeit, um sich von Tiktok beziehungsweise dessen US-Zweig zu trennen. Ansonsten wären Anbieter von Smartphone-Betriebssystemen verpflichtet, die App aus US-amerikanischen App-Stores zu verbannen. Doch ist es wirklich so einfach? Und welche Auswirkungen hätte ein Tiktok-Verbot auf Europa?
Ist ein Tiktok-Verbot realistisch?
Obwohl das Gesetz vom Senat durchgewinkt wurde, heißt das noch lange nicht, dass es tatsächlich zu einem Tiktok-Verbot oder -Verkauf kommt. Es könnte nämlich noch vor Gericht scheitern. Einen ganz ähnlichen Fall hatte es 2020 schon einmal gegeben, als der damalige US-Präsident Donald Trump ein Verbot der Plattform durchsetzen wollte. Das Vorhaben scheiterte vor allem, weil US-Gerichte in den Plänen einen Verstoß gegen die Redefreiheit sahen – diese ist in der US-Verfassung fest verankert. Auch der Bundesstaat Montana hatte im vergangenen Jahr versucht, Tiktok wegen chinesischen Einflusses zu verbieten – ein Bundesrichter entschied aus ähnlichen Gründen dagegen.
Mögliche Reaktionen und Auswirkungen bei einem Tiktok-Verbot
Vermutet wird nun, dass Tiktok gegen die Pläne gerichtlich vorgehen wird – und sich dabei auf den Ersten Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten stützen wird. Der 1791 beschlossene Artikel verbietet dem Kongress, Gesetze zu verabschieden, die die Redefreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit oder das Petitionsrecht einschränken. Das Unternehmen könnte argumentieren, dass ein Verkauf der Plattform die Meinungsfreiheit seiner Nutzerinnen und Nutzer verletzt.
Was, wenn es doch zum Verbot oder Verkauf kommt?
Szenario bei einem Verkauf von Tiktok
Sollte Tiktok mit dem juristischen Vorgehen scheitern, wird die Sache allerdings kompliziert. Dann stünde wohl zunächst einmal die Frage im Raum, ob Bytedance Tiktok als Ganzes abstößt – oder sich nur aus dem US-amerikanischen Raum zurückzieht. Dort allein hat das Unternehmen rund 7000 Beschäftigte.
Ein Komplettverkauf gilt als weniger wahrscheinlich, dürfte für Nutzerinnen und Nutzer aber weniger Auswirkungen haben. Dann würde ein anderes Unternehmen die App schlucken und mit der bestehenden Technologie weiterarbeiten. Das allerdings kann auch in die Hose gehen: Die Twitter-Übernahme durch Elon Musk etwa hat erst kürzlich gezeigt, wie schnell sich eine Plattform durch einen Betreiberwechsel . Für war die Übernahme durch das angestaubte Yahoo in gewisser Weise der Sargnagel.
Auswirkungen auf Europa bei einem Tiktok-Verbot oder -Verkauf]
Hätte ein Verkauf Auswirkungen auf Europa? Als wahrscheinlicher gilt aber wohl Szenario zwei: Tiktok würde seine Dienste ausschließlich in den USA einstellen oder verkaufen. Dann allerdings dürfte es erst richtig kompliziert werden. Bekommen die USA dann eine eigene Tiktok-Version? Wird sie unter einem neuen Namen fungieren? Und werden in den USA erstellte Videos noch in der chinesischen Version, die etwa in Europa verfügbar ist, angezeigt?
Wahrscheinlich ist wohl eher, dass das Ursprungs-Tiktok vom amerikanischen Markt abgeschnitten wird, was auch popkulturelle Auswirkungen auf den Rest der Welt haben dürfte. Zwar kommen auch aus Deutschland und Europa viele virale Tiktok-Inhalte, doch viele junge Menschen konsumieren auch liebend gern englischsprachigen Content. Und viele der auf Tiktok beliebten Memes haben ihren Ursprung in den USA.
Zudem würde dies den internationalen Austausch junger Menschen einschränken. Tiktok ist bekannt dafür, dass sich Inhalte aus allen möglichen Regionen der Welt in alle Regionen der Welt verbreiten können. Häufig findet sich in den Kommentarspalten ein wilder Mix aus allen möglichen Sprachen, nicht selten werden kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten in immer neuen Reaktionsvideos, sogenannten Stiches, zelebriert. Die USA wären davon fortan ausgeschlossen.
Unklar ist aber, ob es den Betreibern überhaupt gelingen wird, die Plattform gänzlich zu verbannen. Die App ließe sich im Zweifel auch über Umwege auf dem Smartphone installieren – selbst wenn sie in den USA nicht mehr verfügbar ist. Möglich wäre aber, dass die Plattform US-Nutzerinnen und US-Nutzer anderweitig aussperrt. Wie das funktionieren kann, . Der hatte Userinnen und User in Europa im vergangenen Jahr ziemlich erfolgreich von seiner neuen Plattform Threads ferngehalten – sie konnten bis zur EU-Einführung nur mitlesen, aber nichts posten.
US-Verbot der Videoplattform Tiktok verabschiedet
Die Kurzvideo-App Tiktok muss sich in den USA von ihrem chinesischen Mutterkonzern Bytedance lösen. Das beschloss nun auch der Senat.
Wer könnte Tiktok kaufen?
Ebenso unklar ist bislang, wer überhaupt Tiktok kaufen soll. Analysten gehen davon aus, dass allein das US-Geschäft der Plattform mehr als 50 Milliarden US-Dollar (45,8 Milliarden Euro) wert ist. Leisten könnten sich das vermutlich nur die ganz großen Techkonzerne, etwa Meta, Google oder Amazon. Die allerdings wären wegen kartellrechtlicher Bedenken vermutlich vom Kauf ausgeschlossen.
Als Donald Trump 2020 erstmals versucht hatte, Tiktok zum Verkauf zu drängen, hatte das Unternehmen Bytedance Gespräche mit Microsoft geführt. Für den Techkonzern könnte Tiktok eine Chance sein, das angestaubte Image loszuwerden. Auf der Code-Konferenz des Medienportals Vox im Jahr 2021 sagte Microsoft-CEO Satya Nadella, er sei „ziemlich neugierig“ auf einen möglichen Deal und die App sei „eine großartige Sache“.
Auch gab es damals Gespräche mit dem Software-Unternehmen Oracle. Das schien zuletzt zusammen mit dem US-Einzelhandelskonzern Walmart eine Einigung erzielt zu haben – der Deal kam allerdings nie zustande.
Interesse an Tiktok haben könnte auch Bobby Kotick, der frühere CEO des Gaming-Riesen Activision. Ein entsprechendes Angebot sei bereits unterbreitet worden, . Auch Investor Kevin O‘Leary hatte kürzlich gegenüber dem US-Fernsehsender Fox News Interesse bekundet.
Für möglich gilt auch der Verkauf an eine ganze Gruppe von Investoren, die die hohe Summe gemeinsam aufbringen. Der ehemalige US-Finanzminister Steve Mnuchin hatte im März angekündigt, er wolle mehrere Investoren zusammenstellen – mögliche Namen nannte er jedoch nicht. Es solle aber „kein einzelner Investor“ sein, der Tiktok kontrolliert.
Tiktok zunehmend unter Druck
Doch egal wie die Sache in den USA aussieht – für Tiktok dürfte es auch sonst weiter ungemütlich bleiben. Erst vor wenigen Tagen hatte die EU-Kommission mit einem Verbot von Tiktoks neuer Belohnungsfunktion gedroht. Diese ermöglicht es Nutzerinnen und Nutzern, Punkte zu sammeln, wenn sie bestimmte Aufgaben in der App Tiktok Lite erfüllen – etwa das Ansehen von Videos oder das Liken von Inhalten. Die Befürchtung: Genau dieser Anreiz könne süchtig machen.
Es wäre nicht die erste Kritik dieser Art: Tiktok funktioniert ganz generell wie eine Art Slot-Machine für Kurzvideos. Gefällt ein Inhalt nicht, kann man ihn wegwischen und bekommt direkt das nächste Video auf den Handybildschirm gespült. Der Algorithmus lernt überaus schnell die Interessen des Nutzers oder der Nutzerin. Wer nicht aufpasst, kann sich im Zweifel stundenlang in der App verlieren. Die neue Belohnungsfunktion konnte das Verhalten im Zweifel noch begünstigen.
Die EU-Kommission hatte Tiktok aufgefordert, innerhalb von 24 Stunden eine Risikobewertung der neuen Belohnungsfunktion vorzulegen. Dieser Aufforderung kam der Konzern auch nach. Damit wurde eine Strafzahlung zunächst verhindert. Onlinedienste wie Tiktok sind gemäß Digital Services Act (DSA) der EU verpflichtet, Minderjährige zu schützen. Außerdem verbietet das Gesetz manipulative Praktiken, mit denen Nutzerinnen und Nutzer auf den Plattformen gehalten werden sollen.