- Die ersten Minuten von “The Substance” sind beeindruckend effizient im Gegensatz zu den weiteren 138 Minuten.
- Der Film zeigt den Aufstieg und Fall einer Hollywood-Berühmtheit durch den Zustand ihres Sterns auf dem Walk of Fame.
- Die Feuchtigkeit im Film stützt die intensive Auseinandersetzung mit Körper und Würgreflexen.
- Elizabeth Sparkle, gespielt von Demi Moore, erlebt einen drastischen Abstieg in ihrer Karriere.
- Der Film endet in einem atemberaubenden und extremen Höhepunkt.
Die ersten Minuten von “The Substance” sind beeindruckend effizient – ein Kontrast zu den weiteren 138 Minuten dieses außergewöhnlichen Films. Ein Jahrzehnte umspannender Zusammenschnitt zeigt den Aufstieg und Fall einer Hollywood-Berühmtheit ausschließlich durch den Zustand ihres Sterns auf dem Walk of Fame. Aus der Vogelperspektive sehen wir, wie er im Beton verankert und von Blitzlichtgewitter erleuchtet wird. Mit fortschreitenden Jahren ändert sich die Kameraperspektive nicht, wohl aber das unbelebte Objekt – zunehmend verwittert und von Touristen ignoriert (“Sie war in diesem Film”, erinnert sich einer vage), verwandelt er sich letztlich in ein Symbol der Vergänglichkeit des Ruhms. Ein gnadenlos kurzer Film über die Launenhaftigkeit des Ruhms, unterstrichen durch eine letzte Demütigung: Ein schlampig hingeworfener Pizzaschnitzel landet mit einem Platschen auf dem Stern.
Ein filmisches Ekelgefühl
Vieles in “The Substance” ist ekelerregend nass – es ist vermutlich der widerwärtigste Film, den Sie dieses Jahr sehen werden, wobei die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass Ihnen übel wird. Wäre diese abgedrehte Satire in Amerikas bewegungsgesteuerten Gimmick-Auditorien – wie 4DX oder D-Box-Theatern – zu sehen, würden die Zuschauer so durchnässt herauskommen wie die erste Reihe bei einer Gallagher-Show. Doch die Feuchtigkeit hat Methode: Indem die französische Filmemacherin Coralie Fargeat gleichermaßen Körper und Würgreflexe angeht, hat sie einen Film geschaffen, der der fleisch- und flüssigkeitsbesessenen Industrie, die er satirisch darstellt, in nichts nachsteht. Ihr Ekel erregt Verachtung; im Vergleich dazu erscheint “Boulevard der Dämmerung” fast liebevoll.
Die Norma-Desmond-Figur hier ist Elizabeth Sparkle, eine einstige Starlett, gespielt von der realen ehemaligen Starlett Demi Moore. Nun wohl integriert in ihr Leben jenseits der A-Listen-Ränge als Gastgeberin eines beliebten TV-Fitnessprogramms, umgeben von Erinnerungen an ihre fortschreitenden Jahre und schwindenden Ruhm, wie ein abblätterndes Werbeplakat mit ihrem lächelnden Gesicht darauf. An ihrem 50. Geburtstag wird sie unsanft von ihrem Chef (Dennis Quaid, der Szenen wirklich verschlingt) vor die Tür gesetzt, der in einer Frau ihres Alters keinen Nutzen mehr sieht. Dass der Boss Harvey heißt, sollte die Anspielung auf die abgelehnte Alt-Herren-Riege klar machen.
Der Verfall beginnt
Elizabeths Sturz von heiß zu nichtig in der Schätzung der Geldmänner macht sie zur idealen Kandidatin für “The Substance” – ein geheimnisvolles, experimentelles Medikament, das all jenen eine “neue Version von sich” verspricht, die sich darauf einlassen. Während die klinisch weiße Verpackung der Injektionen und Applikatoren an Apple-Produkte erinnert, sind die dazugehörigen Anweisungen so bedrohlich und rigide wie die Regeln der Gremlins. Ob Fargeat die Ozempic-Manie oder chirurgische Lösungen für das Unbequeme des Alterns ins Visier nimmt? Eine direkte Eins-zu-Eins-Verbindung gibt es nicht für ein verrücktes Wissenschaftswunder-Serum, das Elizabeth in einen Inkubator für die makellose Nachwuchsschauspielerin (Margaret Qualley) verwandelt, die aus ihrem Rücken bricht wie ein sexy Xenomorph.
Statt die physischen Logistik des Prozesses abzukürzen, präsentiert Fargeat sie in grausamen, fein strukturierten Details. (Jemand mit Nadelphobie sollte sich auf eine intensive Immersionstherapie vorbereiten.) Die Sequenz, in der Elizabeth Qualleys „Sue“ gebiert, erinnert an die qualvolle, langwierige Transformation in “Ein amerikanischer Werwolf in London”. Tatsächlich ist “The Substance” eine glorreich klebrige Hommage an die Praxis-Effekt-Tage der 1980er; während sich die körperlichen Unfälle eskalieren, könnte man an “Die Fliege” oder “Das Ding aus einer anderen Welt” denken.
Ein groteskes Meisterwerk
Fargeat ist keine Unbekannte in Geschichten über extreme körperliche Traumata. Ihr erster Spielfilm, “Revenge”, war eine kluge und brutale Interpretation des Rape-Revenge-Thrillers; sie drehte den raubtierhaften, entmenschlichenden männlichen Blick ihrer Schurken um. In “The Substance” spiegelt die Drehbuchautorin und Regisseurin die objektivierende Perspektive einer ganzen Stadt wider. Fargeats glatt narkotische, bombastische Stil – extreme Nahaufnahmen, in harten Primärfarben getauchte Korridore – macht die seelenlose Oberflächlichkeit Hollywoods zu einem Designprinzip. Jeder und alles wird unter dem kalten, invasiven Schein der Kamera zur Ware. Dazu gehört auch Sue, eine fühlende Verkörperung eines Teils von Elizabeths Bewusstsein; Fargeat zeigt Qualley wie einen Sportwagen und verweilt auf ihren glänzenden Ausstellungsflächen.
Der Film entwickelt sich zu einer delirierenden Grand-Guignol-Farce über zwei Frauen, die ein Leben teilen. Der Haken am Prozess ist, dass während Sue aktiv ist, Elizabeth bewusstlos ist und umgekehrt. Sie wechseln sich einmal pro Woche ab… und wenn Sue zusätzliche Zeit stiehlt, hat dies sofortige, gruselige Auswirkungen auf Elizabeths Physiologie. Ganz zu schweigen davon, dass es viel schwieriger ist, eine doppelte Identität à la “Der verrückte Professor” zu pflegen, wenn ein komatöser Körper versteckt und genährt werden muss. Die wirklich geniale Komplikation des Films ist, dass Elizabeth und Sue eigene Motive haben – und an einem bestimmten Punkt, als letztere den begehrten TV-Job übernimmt, den die ehemalige verloren hat, arbeiten sie gegeneinander.
Der Höhepunkt
Man könnte sagen, “The Substance” handelt von Körperbild als einer Zygote, die eine alternde Stars verzerrte Selbstwahrnehmung von ihrem idealisierten Jugend- und Schönheitsbild trennt. Moore ist es, die der Idee eine emotionale Glaubwürdigkeit verleiht. Als Überlebende von „Striptease“ bringt sie die unerschütterliche Überzeugung einer erfahrenen Darstellerin mit, die die unmöglichen Schönheitsstandards ihres Berufes und die sinkenden Chancen für Schauspielerinnen im Laufe der Zeit kenntnisreich betrachtet. Ob sie selbstverachtend in ihr eigenes Spiegelbild starrt oder unter einem Berg zunehmend schrecklicher Prothesen schreit, Moore ist das Herz eines Films, der Blut in jede Richtung pumpt.
Das letzte Drittel von “The Substance” ist geradezu atemberaubend in seiner Bereitschaft, das demente Prämisse bis zum Äußersten auszureizen. Der Höhepunkt ist so kühn in seiner sintflutartigen Orgienhaftigkeit, dass Sie das Bedürfnis verspüren könnten, gleichzeitig zu jubeln und zu kotzen. Diese Entschlossenheit zu offenbartem Horror werget sicher einige zu Diskussionen anregen, ist aber die Stärke des Films.