- Der Mythos, dass Putenfleisch besonders viel Tryptophan enthält, ist irreführend. Kohlenhydratreiche Beilagen sind Hauptverantwortliche für die erhöhte Schläfrigkeit nach dem Erntedankessen. Übermäßiges Essen aktiviert das parasympathische Nervensystem, was zur Müdigkeit führt. Jetlag und Stress tragen ebenfalls zur Erschöpfung bei. Strategien gegen Schläfrigkeit sind weniger essen oder aktiv sein nach dem Essen.
Jedes Jahr nehme ich mir vor, mich nicht in einen kulinarischen Dämmerzustand zu versetzen. Achtsam zu speisen, meinen Bauch zuerst mit Salat zu füllen und die Hände von Pute und Soße zu lassen. Doch dann wache ich Stunden nach dem Erntedankessen auf, ausgestreckt wie Robinson Crusoe auf dem Wohnzimmerboden, umgeben von den Spielzeugen meiner Neffen. Mein Hemd ziert eine Vielzahl brauner Flecken und meine Jeans schmücken fettige Handabdrücke. Warum, frage ich mich, tauchen ich und Millionen anderer Amerikaner in dieses Verdauungstaumel ein? Liegt es an der Pute oder birgt das Fest noch einen anderen Grund für die Trägheit?
Der Mythos der Tryptophan-Pute
Das Gerücht hält sich hartnäckig, dass Putenfleisch voller Schlaf hervorrufender Chemie steckt, insbesondere Tryptophan. Tatsächlich hat dieser Stoff eine gewisse Rolle im Schlafspiel, sie jedoch so hervorzuheben, ist wie zu sagen, Neil Armstrong sei allein zum Mond gesprungen. Denn Pute ist keineswegs besonders reich an Tryptophan. Vergleicht man sie mit gegrilltem Huhn, Steak oder Schweinerippchen, zeigt sich ein ähnlicher Gehalt. Selbst gefriergetrockneter Tofu hat doppelt so viel Tryptophan, und trotzdem hat nie jemand von der bleiernen Müdigkeit nach einem Tofugelage gehört. Nein, die wahren Übeltäter sind unsere geliebten Beilagen voller Kohlenhydrate. Sie sind es, die den Blutzucker in die Höhe schießen lassen. Der Körper bringt daraufhin Insulin ins Spiel, das eine Vielzahl von Aminosäuren mobilisiert, um das Glukosechaos zu ordnen. Hierbei erlangt Tryptophan Zugang zum Gehirn und wird dort zu Serotonin und schließlich zu Melatonin umgewandelt, das bekanntlich schläfrig macht.
Die wahre Ursache der Schläfrigkeit
Doch die Schuld an der Müdigkeit tragen nicht nur die Pute und die Beilagen. Vielmehr spielt die schiere Menge, die wir essen, eine große Rolle. Die Völlerei löst in unserem Körper das parasympathische Nervensystem aus — das für Ruhe und Verdauung verantwortlich ist. Diese beruhigende Reaktion ist der Müdigkeit nach Sex oder einem Heulkrampf nicht unähnlich. Zuvor reisen viele von uns Tausende von Meilen zu ihren Familien, woraufhin der Jetlag gnadenlos zuschlägt. Gastgeber sind ausgelaugt vom Stress der Essensvorbereitung und des Familientroubles.
Strategien gegen das Schläfrigkeitsgefühl
Der effektivste Weg, das Tief zu umgehen, wäre: Weniger essen! Doch da das selten gelingt, kann man zumindest die Menge von Kohlenhydraten reduzieren. Eine schematische Anordnung der Speisen auf dem Teller, bei der Pute vor den Beilagen Vorrang hat, könnte helfen. Doch der ultimative Trick ist, nach dem Essen aktiv zu werden. Die Rolle des Geschirrspülers übernehmen, ein Fußballspiel organisieren oder mit der Familie einkaufen gehen. Oder man akzeptiert das Schicksal, lässt sich gemütlich auf die Couch sinken und genießt den süßen Schlummer.